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Zum goldenen Würstel – Würstelstand am Wiener Graben

Als Inspi­ra­tion diente das von Car­lo Scarpa ent­wor­fene Tick­ethäuschen am Ein­gang der Gia­r­di­ni in Venedig. Rah­men in unter­schiedlichen Mate­ri­alien laufen in Mäan­dern um den Stand. Die Mate­ri­alien und deren Kon­traste sind an den Nach­bar­fas­saden angelehnt: glänzen­des und mattes gold­enes Edel­stahlblech, schwarz­er Stahl, weißer Mar­mor, grün­liche Glass­chicht­en. Und dazu die klas­sis­chen Würs­tel.

Entwurf gemein­sam mit Markus Filgut

Graben Ecke Spiegel­gasse, 1010 Wien, 2015
Auf­tragge­ber: Die Fre­unde & Co Gas­tronomie GmbH

/ Der Geruch von Wassereis am Graben /

Was man vom let­zten Venedig­urlaub noch im Kopf haben kön­nte: Wassereis auf der Seufzer­brücke, Belli­ni aus dem Plas­tik­bech­er im Vaporet­to, das Gedränge in der Harry´s Bar, oder, vielle­icht nur flüchtig und etwas beiläu­fig, ein feingliedriges Tick­ethäuschen am Beginn der Gia­r­di­ni, an dem der Architekt Car­lo Scarpa mit spür­bar­er Freude Form und Mate­ri­alien insze­niert hat.

Szenen­wech­sel. Ein dicht­es Gewebe aus Bezü­gen liegt um den Wiener Graben: die goldbe­deck­te Pest­säule atmet noch den Über­schwang und die Erle­ichterung der­jeni­gen, die ver­schont blieben. Aus dem Sock­el des heili­gen Leopold reck­en Stein­löwen ihr Maul und speien Wass­er in das Brun­nen­beck­en. Das mächtige Tabak­blatt aus Bronze am Por­tal des Haas-Haus­es wird noch an Hans Hollein erin­nern, wenn man Zigaret­ten nur noch aus his­torischen Fil­men ken­nt.
Vor dem von Adolf Loos gestal­teten Her­ren­schnei­der Knize kann man zurück­rech­nen, wie oft man als Stu­dent an den fre­undlich-bes­timmten Kas­sa-Damen gescheit­ert ist, ver­suchte man die Mez­zan­in­räume zu erkun­den, und das, obwohl man die sno­bis­tis­che Käufer­mine aufge­set­zt hat­te. In der Par­fumerie J.B. Filz, gle­ich nebe­nan, wird noch heute jenes Laven­del­wass­er verkauft, das Geyren­hoff dem jun­gen Stan­gel­er zukom­men lässt, nach ihrer ein­prä­gen­den Begeg­nung am Teich unter­halb der Stan­gel­er-Vil­la in Prein an der Rax – wie es Doder­er in den Dämo­nen berichtet. Die Gegend um den Graben ste­ht sozusagen in einem bes­timmten Geruch.

Neben dem ele­gan­ten Geschäft­sportal des ehe­ma­li­gen Braun & Co, im Schat­ten des betucht­en Anker­haus­es von Otto Wag­n­er, am Beginn der Spiegel­gasse, liegt das “gold­ene Würs­tel”: ein Stan­dl zum Herumge­hen und Angreifen. Auch wenn das Vol­u­men nur 33m³ aus­macht, sind alle vier Seit­en unter­schiedlich und aus ver­schiede­nen Mate­ri­alien kom­biniert.
Zwei Rah­men laufen in Mäan­dern um den Stand: ein Band aus poliertem Mess­ing durch­schnei­det den Tra­grah­men aus schwarz lack­ierten Stahl­pro­filen, fal­tet sich an der Dachkante ein­mal herum und bildet an der ent­ge­genge­set­zten Seite das Vor­dach aus. An der Schau­seite schiebt sich eine Vit­rine aus geschichteten Glas­plat­ten zum Graben hin­aus. Nachts schim­mern sie matt.
Das Lochmuster in der rück­wär­ti­gen Ein­gangstür mussten wir erst durch ein Log­a­rith­mus­pro­gramm schick­en, um den gle­ich­mäßi­gen Ver­lauf zu erzeu­gen. Die Let­tern des Schriftzuges sind aus Plex­i­glas­plat­ten geschnit­ten und mit Blattgold verklei­det, weil das in der Her­stel­lung am gün­stig­sten war. Mess­ing dage­gen ist heute meist nicht mehr Mess­ing, son­dern häu­fig elek­tro­chemisch behan­deltes Edel­stahlblech, das robuster und weniger anfäl­lig für Oxi­da­tion­sprozesse ist.

Im Som­mer kühlt fein­er Sprühre­gen die Stirne angestrengter Wurstess­er, während im Win­ter die beheizten Stein­tre­sen das Anfrieren der Ell­bo­gen ver­hin­dern. Durch die Glasöff­nung im Panora­ma-Vor­dach kann der Gast den Zug der Wolken beobacht­en und sich sam­meln, wenn er wieder ein­mal an der Erkun­dung des Knize­mez­zanins gescheit­ert ist. Mit­ge­brachter Velt­lin­er-Sekt im Plas­tik­bech­er wäre einen Ver­such wert. Ab und zu weht hof­fentlich ein Zipfel von Scarpas Gestal­tungslaune vor­bei, vom Rande der Erin­nerung. Vielle­icht hat ja der Geruch um die Gegend eine Nuance dazubekom­men; eine Note Wassereis zum Laven­del­duft beispiel­sweise.